Generation „Auf geht's“
Ich besuche jede Sitzung des Ortschaftsrates von Liegau-Augustusbad. Nicht als Mitglied, sondern als „interessierter Bürger“. Schließlich wohne ich, Patrick Ziob, Mitarbeiter in der Unternehmenskommunikation, nicht nur in diesem wunderschönen Radeberger Ortsteil, sondern hier ist auch das Epilepsiezentrum beheimatet. Bei der letzten Zusammenkunft stellte ein Abgeordneter eine Bedarfsanalyse zur Frage „Brauchen wir einen Jugendclub in Liegau-Augustusbad?“ vor.
Natürlich ging es in der Diskussion, die sich an die spannende Porwerpoint-Präsentation anschloss, dann auch um Stereotype: Man müsse der Jugend etwas bieten, um sie von Antriebslosigkeit, vom Sofa und ihren Handys wegzuholen, sonst verlören wir diese Generation für Engagement und Ehrenamt.
Auch in den öffentlichen Diskussionen ist oft von blassen Jugendlichen die Rede, die nur zwischen Schulbank, Bett und Internet hin- und herswitschen und deren einzige Aktivität darin besteht, sich vom Elterntaxi von A nach B fahren zu lassen, selbst wenn A gleich neben B liegt. Einsatz? Beteiligung? Eigeninitiative? Fehlanzeige. Ob nun berechtigtes Urteil oder aus der Luft gegriffenes Vorurteil - die Sorgen der Elterngeneration sind nachvollziehbar.
Mit 16 für die Ausbildung von zu Hause ausgezogen
In diesem Moment musste ich an Desteny, Hannah, Gregor und Ricardo denken. Vier junge Menschen, die ich drei Tage zuvor kennengelernt hatte. Desteny, Hannah und Gregor sind unsere neuen Azubis in der Klinik.
Hannah mit den lebendigen Augen. Der in sich ruhende Gregor und der freundliche Ricardo. Schließlich die stille Desteny.
Aber es ist dann ausgerechnet Desteny, die mich sehr überrascht. Sie ist 16 Jahre alt und kommt aus Leutersdorf bei Zittau. Eineinhalb Stunden ist das von Kleinwachau entfernt. Für die Ausbildungsstelle ist sie mal eben von zu Hause ausgezogen und wohnt jetzt in einer WG in der Nähe des Epilespiezentrums.
Das Ziel vor Augen
„Das neue Leben ist ganz schön anstrengend“, sagt sie, „Hausarbeit, einkaufen, überhaupt gibt es so viel zu organisieren.“ Am Wochenende fährt sie nach Hause. „Dann hilft mir Mutti beim Papierkram“, erzählt sie.
Aber warum nimmt Desteny das alles auf sich? Das neue Leben, die Entfernung zu Familie und Freunden. „Als ich etwa zwölf Jahre alt war, merkte ich, dass sich Menschen in meiner Gegenwart wohl fühlen, dass sie mir vertrauen und mir gerne von sich erzählen“, antwortet sie, „und ich merkte, dass ich gern zuhöre.“ In Desteny entstand der Berufswunsch Psychologin/Psychotherapeutin.
Und ein Plan: Eine gute, fundierte Ausbildung machen, um dann über den zweiten Bildungsweg das Ziel erreichen zu können. Ihre Mutter war es, die die Stellenanzeige von Kleinwachau im Internet fand. Desteny macht ein Tagespraktikum, was „mir total gut gefallen hat“, bewirbt sich, und jetzt bereichert sie unsere unsere Fachklinik für Neurologie.
„Ich pack das jetzt an“
Ja, das ist das richtige Wort. „Bereichern.“ Und auch ihre Mutter Katharina bemerkt: „Ich entdecke jetzt schon andere Seiten an Desteny, wenn sie über den Umgang mit Patienten spricht, wie viel Empathie und Fürsorge sie dabei mitbringt.“
Wie auch Hannah, Gregor und Ricardo. Hannah engagiert sich in ihrer Freizeit für die Feuerwehr und den Karnevalsverein in ihrem Heimatdorf Lomnitz; und sie tanzt gerne. Über die Malteser lernt sie die Arbeit mit behinderten Menschen kennen. Da sagt sie sich: „Das ist etwas für mich.“ Gregor hatte für sich eigentlich einen Schreibtisch-Job in der IT-Abteilung eines großen Konzerns geplant, dann macht er ein Praktikum in Kleinwachau. „Da wusste ich, das ist das, was ich suche“, erzählt der Radeberger. Und Ricardo ließ sich von der Leidenschaft zur Pflege eines Freundes anstecken.
Alle vier haben sich an einem bestimmten Punkt des Lebens für die Arbeit mit Menschen entschieden. Sie sagten sich: „Auf gehts. Ich pack das jetzt an.“ Auf gehts - so sagt es auch der vierte Teil unserer Jahreskampagne „Hand auf's Herz“, deren Plakate Sie ab heute überall auf unserem Campus finden werden. „Hand auf's Herz“ ist unsere Interpretation der diesjährigen Jahreslosung der evangelischen Kirche. Sie lautet: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Korinther 16,14)
Nächstenliebe als Antrieb
Hannah, Gregor, Ricardo und Desteny gehen einen Weg, der Fürsorge, Verantwortung und Sorgfalt in den Fokus stellt. Desteny, die 16-jährige, bringt es für sich auf den Punkt: „Ich bin von meiner Mutter und meiner Oma gläubig, russisch-orthodox, erzogen worden. Christus' Idee von der Nächstenliebe ist mein Antrieb.“
Daran musste ich denken, als es im Ortschaftsrat um „unsere Jugend“ ging. Egal ob es jetzt die Freiwilligen aus dem In- und Ausland sind oder unsere Auszubildenden. Ich erlebe hier in Kleinwachau seit zweieinhalb Jahren - seit ich hier arbeite - nur junge Menschen mit Visionen, Kraft und - wie Desteny es sagte - Nächstenliebe.
Diese „Gen Z“ - also die zwischen 1995 und 2010 Geborenen - erlebe ich hier als „Generation Auf geht's.“ Das finde ich wunderschön.