15.05.2025 // Förderschule
Medienkompetenz statt Mediensucht
Auf dem Tisch liegen Pappschilder mit Logos bekannter Apps. Eine App – das wissen auch die Kinder im Raum schon – ist ein kleines Computerprogramm für Smartphones, Tablets oder Computer, das bestimmte Aufgaben erfüllt oder Dienste anbietet. Manche Logos sind sofort erkennbar: WhatsApp, YouTube, Instagram. Andere kennen nur die anwesenden Schülerinnen und Schüler: Discord, Roblox, Brawl Stars zum Beispiel.
Und genau nach diesen Schildern greifen sie gezielt, als Florian Buschmann die Jugendlichen fragt, welche Applikation ihre Lieblings-App ist. Der 23-jährige Dresdner ist ein bundesweit bekannter Coach für das Thema „Mediensucht bei Jugendlichen“. An diesem Tag ist er zu Gast in einem Unterrichtsraum der Förderschule für geistige Entwicklung am Epilepsiezentrum Kleinwachau.
Digitale Welt: Für alle zugänglich
Schnell wird deutlich: Zwischen inklusiven und anderen Klassen gibt es beim Thema Mediennutzung keinen Unterschied. Auch nicht zwischen Förderschulen und Regelschulen. Kinder und Jugendliche kennen sich online bestens aus – oft besser, als Erwachsene es vermuten.
Hier setzt Florian Buschmann an. Der studierte Psychologe, selbst noch jung an Jahren, kennt das Thema aus eigener Erfahrung.
„Ich war süchtig.“
„Es begann mit einem traumatischen Erlebnis – der Scheidung meiner Eltern. Ich war 13 Jahre alt und flüchtete mich in die Welt der Online-Spiele“, erzählt Buschmann. „Ich zockte stundenlang, tagelang, nächtelang. Und wenn ich mal nicht am Rechner saß, kreisten meine Gedanken nur um das nächste Level. Ich war gefangen in einer digitalen Welt – abhängig von Maus und Konsole.“
Den Wendepunkt brachte ein Schüleraustausch nach Rumänien. Kein WLAN, keine Konsole, kein Bildschirm. „Ich habe dort zum ersten Mal richtig gerochen, gehört, gesehen“, erzählt Buschmann. „Natur. Menschen. Leben. Die Gerüche, die Geräusche – all das holte mich zurück. Ich merkte, wie viel Zeit ich in einer eigentlich toxischen Welt verbracht hatte.“
Warnen – ohne zu verteufeln
Heute hat Buschmann eine klare Mission: Kinder und Jugendliche vor den Gefahren exzessiver Mediennutzung zu schützen – ohne dabei das Internet zu verteufeln. „Man darf spielen, surfen, Videos schauen – das ist alles okay. Aber es darf nicht zur Sucht werden. Es darf nicht Gedanken und Seele beherrschen.“
Im Workshop fragt er die Schülerinnen und Schüler direkt: „Wisst ihr, welche Gefahren es noch gibt?“ Die Antworten kommen schnell: „Manche wollen, dass man die Adresse angibt oder den echten Namen. In Chats schreiben manchmal Fremde komische Sachen.“
Datenschutz, Datensicherheit, Cybermobbing und Online-Stalking – auch diese Themen spricht Buschmann klar an.
Schüler:innen hören aufmerksam zu
„Viele glauben sehr schnell, was im Netz steht“, sagt Jana Walzer, Schulsozialarbeiterin an der Kleinwachauer Förderschule. Umso wichtiger sei es, sie für Risiken zu sensibilisieren – für Cybergrooming, Datenschutz, Mobbing. „Unsere Schülerinnen und Schüler waren heute unglaublich aufmerksam. Sie haben sogar die Pause vergessen.“
Ein Junge erzählt, dass ihm schon mal jemand im Chat sehr persönliche Fragen gestellt habe. Eine Mitschülerin weiß, dass man nie den echten Namen nennen sollte. Die Kinder bringen ihre eigenen Erfahrungen ein – offen, direkt, ungefiltert. Schulsozialarbeiterin Walzer: „Ich beobachte, dass Mädchen das Internet meist zum Chatten und Texten nutzen, Jungen spielen eher – aber betroffen sind alle.“
Das Ziel des Seminars: soziale und mediale Kompetenz stärken.
Auch Peter Strohbach, pädagogischer Mitarbeiter der Schule, sieht die Dringlichkeit: „Ich war früher selbst ein Gamer mit Suchttendenzen.“ Den Kindern kann man die Risiken nicht oft genug erklären. „Wiederholung ist die Mutter der Sonderpädagogik.“ Er sagt aber auch: Auch die Eltern seien hier gefragt. „Die Schule kann aufklären – aber handeln müssen Familien zu Hause.“
Offline-Helden – eine Initiative mit Wirkung
Als der Workshop sich dem Ende nähert, sammelt Florian Buschmann die Pappschilder wieder ein. Die bunten Logos verschwinden im Karton – fürs Erste. Zurück bleibt ein starker Eindruck.
„Bei mehr als 25 Prozent aller 10- bis 17-Jährigen gibt es eine riskante oder pathologische Nutzung sozialer Medien: Insgesamt sind rund 1,3 Millionen junge Menschen betroffen. Das hat eine gerade veröffentlichte Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gezeigt.“ Dann schaut er in die Runde. „Ich möchte, dass diese Schülerinnen und Schüler nicht dazugehören.“
2021 gründete er die Initiative OFFLINE HELDEN. Seitdem bietet er Präventionsprojekte an Schulen an – über 300 Veranstaltungen im Jahr mit mehr als 10.000 Teilnehmenden.
Sein Ziel: Kinder und Jugendliche schützen. Vor dem, was er selbst erlebt hat. Mehr Informationen: Florian-Buschmann.de.