Mein Kurs: Meine Fahrten
Wie die Kleinwachauer Klientin:innen den Taxifahrer Marko Michalsky aus Großröhrsdorf verändert haben
Von Patrick Ziob, Unternehmenskommunikation
„Diese zwölf Jahre haben mich verändert. Früher war ich eher zurückgezogen, stiller. Ich bin fröhlicher und offener geworden.“ Während Marko Michalsky diese drei Sätze sagt, lächelt er.
Wir sitzen in der Fahrerkabine eines weißen VW-Crafter, der vor der Werkstatt des Epilepsiezentrums Kleinwachau parkt. Marko Michalsky hat gerade seine Mittagspause, und wir haben uns für ein Interview verabredet.
Mein Name ist Patrick Ziob, 59 Jahre alt, und seit über drei Jahren arbeite ich in der Unternehmenskommunikation von Ostdeutschlands modernster Einrichtung ihrer Art im Radeberger Ortsteil Liegau-Augustusbad – rund 15 Kilometer nördlich von Dresden. Zuvor war ich über 30 Jahre Reporter und Redakteur in Berlin und München.
Wie Marko Michalsky hatte auch ich vor meiner Zeit in Kleinwachau keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderungen. Und wie er habe ich hier neue Erfahrungen gesammelt, die meinen Blick auf das Menschsein verändert haben. Doch der Reihe nach.
Marko Michalsky, 47, arbeitet für das Großröhrsdorfer Unternehmen Taxi Panitz. Viele Klientinnen und Klienten kennen ihn, denn er ist Teil ihrer täglichen Routine: der Mann mit dem akkuraten Scheitel, der angegrauten Kurzhaarfrisur, dem freundlichen Lächeln und dem Kleinbus, dessen Heck den rosafarbenen Schriftzug Panitz trägt. Jeden Tag bringt er Menschen aus der Region nach Kleinwachau.
Meine Routine: Mein Morgen
Los geht es morgens um halb sieben. In Großröhrsdorf – hier wohnt Marko Michalsky auch – holt er den ersten Fahrgast ab, dann fährt er weiter nach Ohorn und Pulsnitz und schließlich wieder zurück nach Großröhrsdorf. Dort holt er Klienten ab, die im Rollstuhl sitzen und deshalb nicht so lange Autofahren können. Ziel ist dann die Werkstatt auf dem Campus von Kleinwachau.
Danach lotst er seinen rollstuhlgerechten Siebensitzer zur Tobiasmühle, einem Außenwohnangebot des Epilepsiezentrums, das malerisch an der Röder zwischen Radeberg und Liegau-Augustusbad liegt. Dort warten weitere fünf Fahrgäste, um nach Kleinwachau gefahren zu werden. Dazwischen bringt er eine Kundin von Wachau-Leppersdorf nach Radeberg zum Taubblindendienst. Schließlich geht es wieder zurück zur Tobiasmühle. Dieses Mal ist es eine Einzelfahrt, weil dieser Klient sich nicht mit anderen verträgt. „Und zum Schluss mache ich noch die Campus-Tour und bringe Klienten aus Kleinwachau zur Werkstatt“, erzählt Marko Michalsky.
Mein Leid: Mein Verlust
Um 9:15 Uhr ist die erste Runde geschafft. Am Nachmittag wiederholt sich der Ablauf – nur in die andere Richtung.
Mittags ist dann mal kurz Zeit zum Innehalten und Reflektieren. Marko Michalsky ist in Löbau im Landkreis Görlitz aufgewachsen. Seine Mutter hat als Sortiererin am Band bei einem Entsorger gearbeitet, sein Vater in einem bekannten ostsächsischen Betonwerk. Er selbst hat Handelsfachpacker gelernt.
Nein, mit Menschen mit Behinderungen hatte er in jungen Jahren keine Berührung, wohl aber mit Mitte 20 mit den Themen Gesundheit und Tod: Sein Vater erkrankt schwer an Krebs, und die Familie pflegt ihn zu Hause, bis er für immer einschläft. Auch wenn Marko Michalsky nicht gerne über private Schicksalsschläge oder Schwierigkeiten spricht, spürt man, wie sehr ihn der frühe Tod des Vaters geprägt, ja mitgenommen hat. Zum Beispiel, wenn er erzählt, dass er früher „kein Kommunikationsmonster“, eher still und zurückgezogen gewesen sei. Oder wie schwer er heute akzeptieren kann, dass er so viele Krebspatienten auf seinen anderen Krankenfahrten zu fahren hat.
„ Den Begriff ‚Kurs halten‘ kenne ich für mein Leben auch: Das sind meine Fahrten mit den Kleinwachauer Klienten – und nach Hause zu meiner Familie. “
Mein Glück: Meine Steffi
Sein Glück ist, dass Steffi in sein Leben tritt. Steffi hat er, der Löbauer, mehr oder weniger zufällig vor 17 Jahren im rund 60 Kilometer entfernten Großröhrsdorf kennengelernt. Und „aus reiner Liebe“ sei er damals von der Ober- in die Westlausitz gezogen – und da lacht er. Sehr glücklich. Das Paar hat zwei Jungs, 24 und 14 Jahre alt.
Das andere, was seinem Leben Struktur, Sinn und Sicherheit gibt, ist der neue Job, den er am 9. September 2013 antritt: Fahrer bei „Taxi Panitz“. Das kleine Unternehmen aus Radebergs Nachbarstadt fährt schon seit 29 Jahren Klienten aus Kleinwachau. „Ich habe schon erst einmal etwas komisch geguckt, als meine Chefin sagte, ich solle die Klienten dieses Epilepsiezentrums in Radeberg fahren“, erzählt Marko Michalsky rückblickend, „heute kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen. Ich sage immer: Diesen Job mache ich bis zum Ruhestand.“
Ich frage nach: „Ist das Ihr Traumjob?“ Und er antwortet: „Ja, absolut. Ich denke, ich habe die Leidenschaft für Motoren und Menschen von meinem Großvater geerbt: Er war Fahrlehrer.“
Meine Sicherheit: Meine Fortbildung
Der schönste Moment in seinem beruflichen Leben sei, wenn die Klienten sich Musik wünschen und alle gemeinsam zuhören, ja oft auch mitsingen, während der Kleinbus ruhig über die Landstraßen dahinrollt. „Natürlich gibt’s auch mal Ärger oder Streit“, sagt Marko Michalsky, „aber dann mache ich eine klare Ansage – und wir können friedlich weiterfahren.“
Klar, auch das Thema Anfälle spielt eine Rolle. Marko Michalsky: „Den ersten Anfall, den ich erlebt habe, werde ich nie vergessen. Er ist – Gott sei Dank – nicht während der Fahrt, sondern vor dem Auto passiert.“ Er hat sich – mit Hilfe des Epilepsiezentrums – fortgebildet und ist sicherer geworden: „Heute weiß ich genau, wie ich handeln muss.“
Meine Freude: Meine Familie
„Prüft alles und behaltet das Gute!“, heißt es in der Jahreslosung der Evangelischen Kirche für 2025, die wir in Kleinwachau mit „Kurs halten“ übersetzen.
„Ich bin nicht gläubig“, sagt Marko Michalsky, „aber ich realisiere natürlich, dass diese Arbeit einen anderen Menschen aus mir gemacht hat. Den Begriff ‚Kurs halten‘ kenne ich daher für mein Leben auch: Das sind meine Fahrten mit den Kleinwachauer Klienten – und nach Hause zu meiner Familie.“
Ich steige aus und denke: Haste gut gemacht, Gott.