Mein Kurs: Meine Heimat
Wie die Rheinländerin Viktoria Knobloch im sächsischen Pulsnitz ein neues Zuhause fand – und was Kleinwachau damit zu tun hat.
Von Patrick Ziob, Unternehmenskommunikation
Als Viktoria Knobloch vor Jahren in Bonn zufällig über einen Bekannten einen gutaussehenden jungen Mann mit sächsischem Akzent kennenlernt, ahnt sie zunächst nicht, dass diese Begegnung ihr Leben drastisch verändern wird. Denn Bonn, der Großraum um die einstige Bundeshauptstadt, das Rheinland – das ist ihre Heimat. Hier lebt sie, hier ist sie aufgewachsen.
Der Kurs ihres Lebens – also der Lebensplan der jungen Frau – sah eigentlich eine Zukunft irgendwo zwischen Siebengebirge, Bergischem Land und Eifel vor. In ihrer Heimat.
Aber der Mann, den sie gerade kennengelernt hat, stammt aus Pulsnitz in Sachsen. Und sie hat damals bestimmt nicht gewusst, dass einer der größten Söhne der Stadt, die zwischen Radeberg und Bautzen im Osten des Freistaats liegt, der Bildhauer Ernst Rietschel (1804–1861) war. Dem Schöpfer solch berühmter Skulpturen wie des Goethe-Schiller-Denkmals in Weimar wird das Zitat zugeschrieben: „Ich bin ein sächsischer Mann, und meine Heimat ist mir lieb und teuer.“
„ Ich bin ein sächsischer Mann, und meine Heimat ist mir lieb und teuer. “
Zwölf Jahre später sitze ich, Patrick Ziob, Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation des Epilepsiezentrums Kleinwachau, der 35-jährigen Viktoria in einem kleinen Besprechungsraum der Kita „Schatzinsel“ gegenüber – in eben jenem Pulsnitz, das sie damals nur von Erzählungen kannte. Denn Paul – so der Name des jungen Mannes – hat Viktoria nicht nur seine Liebe gestanden, sondern auch die zu seiner Heimat. „Er hat es von Anfang an gesagt, dass es ihn irgendwann zurückzieht“, erinnert sich Viktoria.
Mein Plan: Meine Region
Der Entschluss, von Nordrhein-Westfalen nach Sachsen zu ziehen, war kein spontaner. Es war ein Weg mit Herzklopfen. Für Viktoria, die ihre Kindheit in einem kleinen Dorf bei Königswinter verbracht hatte, bedeutete der Umzug im Jahr 2016 einen kompletten Neuanfang: beruflich, familiär und emotional. Dort, im Rheinland, hatte sie ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Sankt Augustin in der Nähe von Bonn gemacht. Einen räumlichen Neuanfang sah ihr Lebensplan eigentlich nicht vor.
Ihr Mann Paul, gelernter Lebensmitteltechniker, hatte sie vorbereitet. Er zeigte ihr die Felsen der Bastei, die Weite der Oberlausitz, die Ruhe der Elbe, das Leben in Dresden. „Die Ausflüge hatten mein Interesse und meine Neugier geweckt. Überzeugt aber hat mich sein Freundeskreis in Pulsnitz. Erstens, dass er überhaupt noch existierte, obwohl mein Mann über zehn Jahre im Westen arbeitete, und zweitens, dass mich dieser Freundeskreis, wie auch seine Familie, ganz selbstverständlich integrierten.“
Als sie schließlich 2016 nach Pulsnitz zogen, war es kein Sprung ins Ungewisse mehr. Viktoria Knobloch: „Ich hatte nicht das Gefühl, in ein fremdes Leben zu treten. Ich wurde direkt mit hineingenommen.“
Mein Glück: Meine Mitmenschen
Beruflich jedoch war es eine andere Herausforderung. Die vertraute Station in Sankt Augustin war Geschichte. In Sachsen musste sie sich neu orientieren, arbeitete vorübergehend in der Erwachsenenpflege, bevor sie in der Kindernotaufnahme Dresden-Neustadt eine Stelle fand. „Das war die größte Herausforderung für mich – ich habe lange gehadert“, sagt sie.
Heute, fügt sie an, möchte sie nicht mehr zurück. Nicht, weil es im Westen schlecht war, sondern weil hier für sie etwas gewachsen ist. „Die Menschen hier wirken verbindlicher. Im Rheinland ist man schnell per Du, aber man kann auch lange distanziert bleiben. Hier ist das anders.“
„ Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern da, wo man verstanden wird. “
Und da sie selbst aus einem Ort stammt, „den man in fünf Minuten durchlaufen kann“, wirkt Pulsnitz für sie fast städtisch: Einkaufsmöglichkeiten, kurze Wege, ein Bahnhof – „ein ideales Maß aus ländlicher Geborgenheit und städtischer Erreichbarkeit.“
Meine Freude: Meine Kita
Ein Glücksfall war für die junge Familie mit inzwischen zwei Kindern auch die Kita Schatzinsel, deren Träger das Epilepsiezentrum Kleinwachau im benachbarten Radeberg ist. „Als wir uns in der Schatzinsel beworben haben, ging es für uns erst einmal nicht um das integrative Konzept, sondern die Kita hat in Pulsnitz einfach einen guten Ruf. Heute bin ich froh, dass meine vierjährige Tochter hier lernt, dass es Kinder gibt, die anders sind. Dass Behinderung, Beeinträchtigung, Anderssein – eben nicht anders ist, sondern zum Menschsein gehört.“
Sie, die selbst aus der katholischen Kirche ausgetreten ist – die Hauptgründe waren die Missbrauchsskandale und der Umgang mit Frauen – findet es zudem gut, dass in der Schatzinsel der christliche Glaube gelebt wird. „Dass alle Menschen vor Gott gleich sind, ist gerade auch für Kinder eine wichtige Botschaft, die ihr Leben prägen kann“, findet Viktoria Knobloch. „Ich finde es wunderbar, dass Vielfalt und Diversität hier ganz selbstverständlich gelebt werden. Davon profitieren alle – auch meine Töchter.“
Meine Hoffnung: Meine Familie
Natürlich vermisst sie ihre Familie, die weit weg im äußersten Westen Deutschlands lebt. Aber es zeichnen sich neue Wege ab: „Meine Mutter kann sich durchaus vorstellen, irgendwann auch hierher zu ziehen“, erzählt Viktoria Knobloch.
Für sie, die am Rhein geboren wurde, ist jetzt die Pfefferkuchenstadt an der Pulsnitz ihr Zuhause. Würde sie die neue Heimat noch mal verlassen? Viktoria Knobloch: „Man soll nie nie sagen, aber Stand Jetzt steht für mich fest: Nein.“
Mein Kurs: Meine Offenheit
„Prüft alles und behaltet das Gute!“, heißt es in der Jahreslosung der Evangelischen Kirche für 2025, die wir in Kleinwachau mit „Kurs halten“ übersetzen.
Und wie sagte schon der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967), der Bonn zur Bundeshauptstadt machte und in Bad Honnef starb – der Stadt am Rhein, wo Viktoria Knobloch geboren wurde: „Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern da, wo man verstanden wird.“
Dafür offen zu sein, ist auch eine Form von „Kurs halten“.